Gastbeitrag von Angelika Mitlmeier über Ihren Weg mit Nicky

Gestern war ich mit Nicky und Nelly Reinsch, für einen Freundschaftswalk alà Ulli Reichmann, im Wald unterwegs. Dabei wurde mir wieder bewusst, was Nicky und ich alles hinter uns liesen und wie wir das erreicht haben.

Nicky- durchs Raster gefallen- der besondere Hund

Nicky, ist ein "deprivierter Hund" (Erklärung gibt es hier) mit verschiedenen Traumata, das lag von Anfang an auf der Hand - früher scheinbar hilflos in sich gefangen, von allen Reizen komplett überfordert, der weder das was er sah, roch, hörte oder spürte, sortieren, geschweige denn befriedigend im Hirn ablegen konnte, um es später bei Bedarf wieder abrufen zu können. So musste er ständig alles "neu" kennen lernen und Situationen immer wieder neu bewerten.

Nicky versunken in seiner eigenen Welt
Nicky versunken in seiner eigenen Welt

Fremde Menschen - Fremdes Gelände - Wildgerüche - all das waren Faktoren, die ihn sofort aus der Bahn geworfen haben. Sinneseindrücke, die ihn in eine Art "autistische Welt" abtauchen liesen, inder er sich zwanghaft auf seine Nase fokusierte, mega gestresst nicht vorhandene Duftspuren ausarbeitete, dabei unansprechbar, ziehend wie ein Ochse, in der Leine hing und bei Ansteigen des Stresspegels auch schrie und um sich biss. Ganz zu Anfang war das schon der Fall, wenn sich die Haustüre öffnete.....

Ohne "Reizüberfrachtung" zeigte er, wie sehr er sich darum bemühte, alles recht zu machen.....wie gerne er lernen wollte.....aber einfach nicht konnte, sobald die Reize Chaos in seiner Wahrnehmung verursachten.

 

Zwei Jahre lang nahm er draußen kaum Notiz von dem, was seine Mithündin Laika oder ich machten, entdeckten und erforschten. Ein Miteinander war ihm kaum möglich, weil er mit sich selbst, in dieser großen, vielfältig "reizenden" Welt", schon vollkommen überfordert war. Er konnte sich nicht darauf einlassen, was andere um ihn herum machten.

 

Durch eine unentdeckte eitrige Blasenentzündung, die Nicky hatte bevor er zu mir kam, hatte die Blase irreperable Schäden erlitten und mir wurde prognostiziert, dass Nicky nie stubenrein werden würde.

Die ersten Schritte

Was ist das?
Was ist das?

Mit rein positiven Werkzeugen, viel Konditionierung, Gewöhnung, Desensibilisierung usw. machte er schon Fortschritte...langsam...und äußerst instabil. Sobald nur ein einziger Faktor hinzu kam, den er für sich noch nicht klar hatte einordnen können, wars vorbei.

 

So konnte ihn zum Beispiel ein großer Stein am Wegrand massiv aus der Bahn werfen, weil er diesen Stein, den wir schon oftmals passiert hatten, noch nicht für sich wahrgenommen und eingeordnet hatte. Für ihn war der Stein ganz neu. Solche oder ähnliche Auslöser, sorgten dafür, dass Nicky sich im Kopf ausklinkte und oft Stunden, früher sogar Tage brauchte, um wieder "runter zu kommen".

 

Alles, was nicht wirklich zum alltäglichen Erleben gehörte, was er nicht bewusst wahrnahm war für ihn in dem moment als er es erstmalig bewusst wahrnahm, absolut neu, verunsichernd und Chaos im Hirn verursachend.

 

Was war also sein allergrößtes Problem, neben Traumata und Deprivation? Das galt es herauszufinden um ihm zu einem qualitativ hochwertigem Hundeleben verhelfen zu können.

Der Durchbruch

Weil alles was ich bisher über Hunde gelernt hatte, kaum Erfolg brachte, legte ich den Schwerpunkt auf Hilfe bezüglich einer "sensorischen Integrationsstörung". Ich kenne das aus der Arbeit mit den Kindern und viele Verhaltensweisen und Symptome die Nicky zeigte, erinnerten mich daran.

 

Bei dieser Störung ist die sinnvolle Ordnung, Aufgliederung und Verarbeitung von Sinneserregungen im zentralen Nervensystem nicht gegeben, die eine adäquate Auseinandersetzung mit der Umwelt ermöglicht. Für jede Handlung benötigt man eine gute Organisation von Sinneswahrnehmungen. Erfolgt der Fluss der Empfindungen unorganisiert – d. h. im ZNS findet keine entsprechende Verarbeitung statt – so kann keine zielgerichtete und geplante Handlung auf die Umweltreize hervorgebracht werden.

Den Untergrund bewusst wahrnehmen
Den Untergrund bewusst wahrnehmen
Das Ziel einer Therapie ist eine gute Wahrnehmung und Verarbeitung der Wahrnehmung, sowie eine Verknüpfung mit den anderen Sinnen als Basis für ökonomisches Lernen. Gezielte Reizangebote helfen, aktiv zu handeln und zu erforschen, um somit seine neurologische Organisation reifer und effektiver zu gestalten.

 

Ich achtete bei Nicky also genau drauf, wann er sich speziell auf ein Sinneserlebnis konzentrierte und benannte dieses. "Gucken"- "Riechen" - "Horchen" und lobte. Ich bestätigte ihn auf Teufel....nee, eigentlich Engel komm raus, für alles was er in der Lage war, konkreter wahrzunehmen und von dem er sich sonst überrollen lies. 

Durch die Arbeit an der senosrischen Integrationsstörung, das Benennen von Sinneserlebnissen war Nicky immer mehr in der Lage, die einzelnen Sinne zu erkennen, zu ertragen, zu nutzen und zu erleben.
Sicher ist es nur eine Vermutung, keine bewiesene Tatsache, nichts allgemein zutreffendes, was ich hier beschreibe - aber für mich die verständlichste, erlebbare Begründung für das, was ich mit Nicky erlebe. Und vielleicht hilft diese Erfahrung anderen in ihrer Arbeit mit dem eigenen Hund ein Stückchen weiter.

Nicky heute

Nelly Reinsch meinte gestern, so, wie ich ihn beschrieben hatte, erwartete sie etwas ganz anderes - aber keinen so "normalen" Hund. Wir erlebten gestern Nicky - einen Hund, der mit einer so sichtbar strahlenden Lebensfreude, unbefangen und aufgeschlossen,  die Welt um sich herum entdeckte und alles, was er dabei erlebte, mit all seinen Sinnen in sich auf sog, ohne davor in "seine andere Welt flüchten zu müssen" - der dabei auch "erlerntes Verhalten" abrufen konnte, wie zB Umorientierung, Richtungswechsel usw..

 

Auch gesundheitlich ist er im Vergleich zu früher viel stabiler. Er ist entgegen der Prognosen stubenrein geworden. Nur bei falscher Fütterung oder bei großem Stress, passiert es noch manchmal dass er sich im Haus löst.

In Zukunft, wenn ich einen Fragebogen zu Nicky ausfüllen soll, werde ich den heutigen Nicky beschreiben.
Den lebensfrohen, anschmiegsamen, manchmal frechen und immer neugierigen Nicky, der Menschen generalisiert Klasse findet, wenn sie ihn richtig, so wie er es mag, kraulen.......der nun alles an Erlebnissen nachzuholen scheint, die ein Hund normalerweise von klein auf erlebt und der das obendrein jetzt auch verarbeiten und für sich nutzen kann.......und sich dabei sichtbar wohl fühlt!